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Kompositionspädagogik am JAM MUSIC LAB

Richard Graf unterrichtet seit dem WS 2017/18 Komposition/Kompositionspädagogik und ist Leiter der Master-Studien (Pädagogik) an der JAM MUSIC LAB University. Im Interview mit Marcus Ratka spricht er zu den Inhalten dieser neuen Disziplin.

Marcus Ratka: Kompositions-Pädagogik ist eine relativ junge Disziplin. Wie ist sie entstanden? Wodurch unterscheidet sie sich vom herkömmlichen "Kompositionsunterricht"? 

Richard Graf: Während es im Kompositionsunterricht natürlich primär um das Schaffen neuer musikalischer Werke geht, egal ob Songs, Symphonien, Werbung oder Filmmusik, wird bei der Kompositionspädagogik der Prozess des Komponierens näher beleuchtet und reflektiert, um diesen in weiterer Folge auch in entsprechende didaktische Modelle zu "übersetzen". Diese finden dann in der Vermittlung, im Unterricht oder auch in der eigenen künstlerischen Aktivität Anwendung.

Entstanden ist die Kompositionspädagogik durch das Bedürfnis bzw. durch die Tendenz der letzten Jahre, das „Komponieren“ nicht nur als eine „abgehobene“ Tätigkeit einiger, weniger Genies zu betrachten und um deren Meisterwerke zu bewundern, sondern selbst aktiv zu werden und zu zeigen, dass das Entwickeln eigener Ideen ein wichtiger Prozess des Musizierens sein sollte. Durch entsprechende Methoden und strukturierte Unterrichtskonzepte finden sowohl Studierende, Lehrende oder Schüler Unterstützung, um ihre Ideen entsprechend umzusetzen. Es geht also um „Tools“, die über Fächer wie Harmonielehre, Tonsatz etc. hinausgehen, vergleichbar mit der Dramaturgie oder der Regie bei der Entstehung eines Films.

Die Aufbereitung dieser Methoden gehört meines Erachtens zu den spannendsten Entwicklungen, die derzeit im musikpädagogischen Bereich stattfinden. Dadurch werden neue Zugänge für Anfänger und Fortgeschrittene, egal welchen Alters, ermöglicht. Das kann nicht nur für KomponistInnen, sondern auch für alle Musikschaffenden interessant sein. Dazu gehört z.B. auch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen zur Improvisation – idiomatisch, thematisch, programmatisch oder völlig frei; oder im Umgang mit Sounds: von Alltagsgegenständen über klangliche Entdeckungsreisen mit dem eigenen Instrument bis zur Live-Elektronik und computergenerierten Sounds. Weiters gehören auch Methoden interaktiver und kollaborativer Musikgestaltung dazu. All diese Aspekte ermöglichen eine neue Perspektive im Prozess des "Musikmachens" und sind Teil dieser kompositionspädagogischen Methoden.

MR: Das eigene Schaffen – wenn man so will "komponieren" – von Musikstücken ist integraler Bestandteil im Pop, Rock, Jazz usw. InterpretIn und KomponistIn sind in vielen Musikstilen der Gegenwart wieder eine Personalunion. Nimmt die Kompositionspädagogik darauf Bezug?

RG: Die Kompositionspädagogik kennt grundsätzlich keinerlei stilistische Einschränkungen. Gerade die genannten Genres sind prädestiniert für die Entwicklung und Anwendung kompositionspädagogischer Methoden, da sie aufgrund ihrer Genese seit jeher einen unvoreingenommenen Umgang mit Musik bzw. deren musikalischen und auch außermusikalischen Elementen (Video, Performance etc.) pflegen. Ein Blick in die Musikgeschichte zeigt auch, dass lange Zeit Interpret und Komponist eine Personalunion dargestellt haben, bevor zunehmende spieltechnische Ansprüche eine Spezialisierung und damit eine Trennung von Interpret und Komponist vorangetrieben haben. Ich glaube, dass es spannend sein wird, hier ein neues Selbstverständnis zu schaffen: Das individuelle, selbständige Entdecken innerer Strukturen durch den Prozess des „Kreierens“ führt zu einem tieferen Verständnis der "atomaren" musikalischen Bausteine und deren Wechselwirkungen von Sound, Rhythmik, Harmonik und Melodik bis zu Interpretation bzw. Performance und der Interaktion auf der Bühne mit den MitmusikerInnen oder auch dem Publikum. Egal ob jemand einen Pop-Song produziert oder eine Symphonie schreibt: ein entsprechendes "Know-How" dieser Zusammenhänge führt in jedem Fall zu einer intensiveren Auseinandersetzung und meines Erachtens auch zu einem künstlerisch interessanteren Ergebnis. Die Musik „von Innen“ heraus zu entdecken und zu erfahren; das ist mein Ansinnen. Das Komponieren, Improvisieren, Arrangieren oder Produzieren sind Elemente dieses kreativen Gestaltens.

MR: „Artistic Research“ ist ebenfalls ein junger Forschungszweig. Gibt es Berührungspunkte zwischen den Bereichen der künstlerischen Forschung und der Kompositions-Pädagogik?

RG: Das „künstlerische Forschen“ ist besonders in einem Feld, das sich mit dem Erfinden und Kreieren von Musik beschäftigt, unabdingbar. Sowohl im Bereich der Komposition als auch in der Kompositionspädagogik steht ein unendlich weites Feld an Möglichkeiten offen, um mithilfe strukturierter Methoden neue Erkenntnisse sowohl im künstlerischen Schaffen als auch im didaktischen Bereich Ansätze zu entwickeln, neue Wirkungsfelder zu erschließen um damit neue künstlerische und pädagogische Räume zu ermöglichen. Dadurch ergänzen sich „Artistic Research“ und die Kompositionspädagogik nicht nur großartig, sondern weisen eine klare Interdependenz auf. Unterschiedliche Zugänge zum Gestalten von Musik kann Fragen im „Artistic Research“ aufwerfen, die wiederum im Wechselspiel zur Komposition und zur Kompositionspädagogik neue Erkenntnisse ermöglichen. Eine Fragestellung im Bereich „Artistic Research“ kann aber wiederum neue Zugänge im Bereich des Komponierens und der Kompositionspädagogik ermöglichen.

MR: Welche Forschungsfragen interessieren dich im Besonderen im Zusammenhang der Vermittlung von Komposition?

RG: Dazu gehören sicher die Fragen nach stilübergreifenden und interdisziplinären didaktischen Modellen und Methoden. Vor allem die Entwicklung prozessorientierter und kollaborativer, aber auch "spielerischer", experimenteller Zugänge und die Einbindung von Digitaltechnik sind von großem Interesse. Und da der Begriff Kompetenz in der europäischen Bildungslandschaft ein Schlüsselwort geworden ist, stellt sich natürlich auch in den Bereichen Komposition und Kompositionspädagogik die Frage: Welche Kompetenzen erscheinen wichtig und wie können sie erlangt werden? Welche Zielsetzungen sind im 21. Jh. richtungsweisend? Wie reagieren wir auf aktuelle musikalische, aber auch auf gesellschaftliche Entwicklungen?

Die Musik spielt im Leben Jugendlicher eine sehr große Rolle und die Schule ist auch gut beraten, diese Chance zu nutzen. Aber man kann Musik nicht mehr wie vor zwanzig Jahren unterrichten, als die digitale Revolution so richtig eingesetzt hat. Demnach gehören Forschungsgebiete wie Digital Music, Mobile Music und Interaktivität zu den aktuellen Themen, aber auch neue Konzepte, die Grenzbereiche zwischen Komposition und Improvisation beleuchten sowie Themen wie Produktion, Sounddesign, Mikrotonalität, n-tolische Taktarten usw. einschließen, sollten seinen Platz finden.

D.h. die Kompositionspädagogik ist ein Forschungsfeld, das die Konzepte, Ideen und Methoden nicht nur der komponierenden, sondern auch improvisierenden und interpretierenden Künstler unter die Lupe nimmt um neue Möglichkeiten in der Vermittlung von Musik und Komposition entwickeln. Das Komponieren ist ein Prozess, der zum Ziel hat, etwas Neues zu schaffen, das die Individualität des Musikschaffenden widerspiegelt. Die Möglichkeiten dabei sind unerschöpflich.

MR: Gibt es ein klares Berufsfeld zur "Kompositions-Pädagogik"? Welchen Vorteil nimmt jemand mit, der eine Ausbildung in diesem Bereich abgeschlossen hat?

RG: Die Kompositionspädagogik ist ein junges Berufsfeld, dass sich insbesondere im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren aus dem primären Bedürfnis heraus etablierte, an Musikschulen Kompositionsunterricht anzubieten, aber auch den Musikunterricht an Schulen durch aktives Gestalten von Musik zu beleben.

In Deutschland gibt es seit Ende 2016 einen bundesweiten Lehrplan für das Fach Komposition (und Theorie) und in Österreich ist 2017 nun der Rahmenlehrplan für Komposition, bei dem ich auch mitgearbeitet habe, fertiggestellt worden. Dies bedeutet, dass nun erstmals an österreichischen Musikschulen Komposition als Unterrichtsfach genauso besucht werden kann wie Klavier oder Gitarre. Aber auch an Allgemeinbildenden Schulen soll das „Erfinden von Musik“ für ein vertiefendes Verständnis für Musik sorgen.

Dies hat wiederum zur Folge, dass es auch entsprechende Lehrkräfte geben muss, die ein derartiges Studium absolviert haben und die entsprechenden Kompetenzen mitbringen. Pragmatisch betrachtet hat man mit dieser pädagogischen Ausbildung die Möglichkeit auch an öffentlichen Institutionen (Schulen, Musikschulen) zu unterrichten. Gerade hier ist der Bedarf an Personen, die im Popularmusikbereich nicht nur instrumentalpädagogische, sondern auch kompositionspädagogische Kompetenzen haben, sehr groß und eine entsprechende Ausbildung ist somit sehr zukunftsträchtig. Denn auch Fächer wie Musikkunde, Ensembleleitung, Improvisation und schließlich Komposition werden in den kommenden Jahren noch stärker im Fokus stehen und bieten ein vielversprechendes Betätigungsfeld.


Über Richard Graf

Richard Graf studierte in Wien und in den USA, hat einige Preise und Auszeichnungen als Musiker und Komponist erhalten. Seine Werke wurden bei internationalen Festivals in Europa, Asien, USA, Australien aufgeführt. Graf ist der Initiator und künstlerische Leiter des „MAX BRAND Ensembles“ und der „Tage der Neuen Musik“. Vor kurzem ist eine CD mit Michael Mantler, Himiko Paganotti & dem MAX BRAND Ensemble bei ECM-Records erschienen, bei der Graf als Co-Producer und Artistic Director tätig war.

Seine Qualitäten als Workshopleiter und Vortragender sind im In- und Ausland gefragt und führten ihn bislang nach Los Angeles (University of Southern California), zur IAJE Chicago, an die Musikhochschule Bremen, Landesakademie Berlin, Folkwang Universität Essen usw. Mehrere Lehraufträge (JAM MUSIC LAB, Donau-Universität Krems, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) sowie seine Produzententätigkeiten runden seine Aktivitäten ab.

Als Präsident der INÖK – Interessengemeinschaft Niederösterreichische KomponistInnen und als Vorstandsmitglied des ÖKB – Österreichischen Komponistenbundes bemüht er sich auch um das kreative Schaffen junger und jüngster KomponistInnen. Dazu gehört auch der Bundeswettbewerb „Jugend komponiert – prima la musica“, bei dem Graf die Leitung und den Juryvorsitz innehat.

www.richardgraf.com

 

 

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Geschrieben am February 23rd, 2018
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